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Décisions

CCE, 1 octobre 1997, n° M.979

COMMISSION DES COMMUNAUTÉS EUROPÉENNES

Arrêt

Preussag/Voest Alpine

CCE n° M.979

1 octobre 1997

Am 1. September 1997 haben die Unternehmen Preussag Stahl AG, Salzgitter ("PSAG"), und Vöst-Alpine Stahl Linz GmbH, Linz ("VASL"), gemeinsam ihr Vorhaben angemeldet, jeweils 50 % der Geschäftsanteile an der Europlatinen GmbH, München, bei deren Neugründung zu erwerben.

Nach Prüfung der Anmeldung hat die Kommission festgestellt, daß das angemeldete Vorhaben nicht in den Anwendungsbereich der Ratsverordnung (EWG) Nr. 4064-89 ("Fusionskontrollverordnung")[ABl. Nr. L 395 vom 30.12.1989; berichtigte Fassung: ABl. Nr. L 257 vom 21.09.1990, S. 13.] fällt.

I. DIE PARTEIEN

PSAG ist eine Konzerngesellschaft der Preussag AG ("Preussag") und in der Herstellung, Weiterverarbeitung und dem Vertrieb von Eisen- und Stahlerzeugnissen, insbesondere von Flachstahlprodukten, sowie im Handel mit Schrott und NE-Metallen tätig. Der Preussag-Konzern ist ferner in den Bereichen Energie und Rohstoffe, Handel und Verkehr, Anlagen- und Schiffbau sowie in der Gebäudetechnik tätig und erzielte im Geschäftsjahr 1995/96 (30.9.) weltweit Umsatzerlöse in Höhe von 13 177 Mio. ECU, davon 10 546 Mio. ECU in der Gemeinschaft und etwa 200 Mio. ECU in den EFTA-Staaten.

VASL ist eine Konzerngesellschaft der Vöst-Alpine Stahl AG ("Vöst-Alpine") und ebenfalls in der Herstellung, Weiterverarbeitung und dem Vertrieb von Eisen- und Stahlerzeugnissen, insbesondere von Flachstahlprodukten, sowie im Handel mit Schrott und NE-Metallen tätig. Der Vöst-Alpine-Konzern ist ferner in der Herstellung von Stahllangprodukten (Schienen, Draht und Rohre) tätig und erzielte im Geschäftsjahr 1996 weltweit Umsatzerlöse in Höhe von 2 346 Mio. ECU, davon 1 893 Mio. ECU in der Gemeinschaft und 55 Mio. ECU in den EFTA-Staaten.

II. DAS VORHABEN

Am 20.6.1997 haben PSAG und VASL einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, in dem sie die Zusammenarbeit bei der Herstellung und dem Vertrieb von gestanzten und lasergeschweissten Formplatinen vereinbaren [Platinen ("tailored blanks") werden in vollautomatisierten Laserschweissanlagen aus mehreren maßgeschneiderten Stahlblechen unterschiedlicher Art und Dicke hergestellt und anschließend im Wege der Kaltverformung in die gewünschte From gepresst. Formplatinen werden als Bauteile in der Herstellung von Kraftfahrzeugen verwendet. Während die zur Herstellung von Platinen benötigten Feinbleche mit einer Breite von mindestens 500 mm ein EGKS-Produkt darstellen, fallen Platinen als weiterverarbeitetes Stahlprodukt nicht in den Anwendungsbereich des EGKS-Vertrages (vgl. Anlage I des EGKS-Vertrages)]. Zu diesem Zweck soll ein Gemeinschaftsunternehmen, die Europlatinen GmbH, gegründet werden, an der sich beide Vertragspartner mit jeweils 50 % beteiligen. Das Gemeinschaftsunternehmen soll anschließend 99 % der Anteile an der Vöst-Alpine Platinen GmbH, einer Tochtergesellschaft der VASL, erwerben, die in Linz eine Produktionsstätte zur Herstellung von Platinen errichtet hat. Ferner soll das Gemeinschaftsunternehmen die in der Planung befindliche Fertigungsstätte für Platinen der PSAG in Salzgitter erwerben. Beide Produktionsstätten werden über zunächst drei Schweissanlagen mit einer Gesamtkapazität von etwa 39 000 Jahrestonnen verfügen.

III. KONZENTRATIVES GEMEINSCHAFTSUNTERNEHMEN

Das angemeldete Vorhaben verwirklicht keinen Zusammenschluß im Sinne der Fusionskontrollverordnung.

Gemeinsame Kontrolle

Nach dem Vollzug des Zusammenschlußvorhabens werden PSAG und VASL mit jeweils 50 % am stimmberechtigten Kapital der Europlatinen GmbH beteiligt sein. Das Gemeinschaftsunternehmen wird zwei Geschäftsführer haben, wobei jeder Gesellschafter das Recht hat, einen Geschäftsführer zu benennen. Bestimmte Geschäfte, die von der Gesellschafterversammlung benannt werden, darf die Geschäftsführung nur mit Zustimmung des Beirats vornehmen. Jeder Gesellschafter hat das Recht, zwei Mitglieder des vierköpfigen Beirats zu benennen. Angesichts der Beteiligungsverhältnisse und der paritätischen Besetzung von Geschäftsführung und Beirat werden beide Gründerunternehmen die gemeinsame Kontrolle über die Europlatinen GmbH ausüben. Das angemeldete Vorhaben verwirklicht daher einen Kontrollerwerb im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b) der Fusionskontrollverordnung.

Kein wirtschaftlich selbständiges Vollfunktionsunternehmen

Das beabsichtigte Gemeinschaftsunternehmen ist jedoch kein Unternehmen, das auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung erfüllt. Zwar wird das auf unbestimmte Zeit errichtete Gemeinschaftsunternehmen über eigene Fertigungsstätten, ausreichende finanzielle Mittel, eigenes Management und Personal sowie über alle sonstigen materiellen und immateriellen Vermögenswerte verfügen, die notwendig sind, um in bedeutendem Umfang in der Herstellung von gestanzten und lasergeschweissten Platinen tätig zu sein. Auch wird das Gemeinschaftsunternehmen über eine eigene Vertriebsorganisation verfügen und insoweit selbständig auf dem Markt tätig werden.

Allerdings wird das Gemeinschaftsunternehmen in seinen Beschaffungsentscheidungen nicht frei sein. Vielmehr ist es verpflichtet, seinen Bedarf an Vorprodukten bei den Gründerunternehmen zu decken. In der Präambel des Kooperationsvertrages haben PSAG und VASL vereinbart, ihren Absatz von Feinblech und Derivaten als Vormaterial für die Platinenfertigung abzusichern. Zur Erreichung dieser Zielsetzung haben sie in Artikel 5.2 des Kooperationsvertrages Einigkeit dahingehend festgestellt, daß das Gemeinschaftsunternehmens sein gesamtes Vormaterial im Verhältnis 50/50 von den Gründerunternehmen beziehen soll. Dabei soll grundsätzlich das am Standort der Fertigungsstätten in Linz bzw. Salzgitter gelegene Gründerunternehmen die Belieferung des Gemeinschaftsunternehmens übernehmen. Sollte diesem die Versorgung des Gemeinschaftsunternehmens mit Vormaterial nicht möglich sein, soll zunächst dem anderen Gründerunternehmen und erst bei Nichtwahrnehmung dieses Lieferrechtes einem Dritten die Belieferung angeboten werden. Die Gründerunternehmen haben bestimmt, daß die Geschäftsführung der Europlatinen GmbH auf die Entscheidungen über den Vormaterialeinsatz entsprechend der Zielsetzung des Kooperationsvertrages Einfluß nehmen wird. Das Gemeinschaftsunternehmen ist daher in der Wahl seiner Lieferanten gebunden und verfügt nicht über einen freien, ungehinderten Zugang zu den Beschaffungsmärkten [Ein Vollfunktionsunternehmen muß über die Möglichkeit verfügen, sein Vormaterial zu Marktbedingungen ausser von seinen Gründerunternehmen auch von anderen Lieferanten beziehen zu können. Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Unterscheidung zwischen konzentrativen und kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, ABl. C 385 vom 31.12.1994, S. 1, Ziffer 15. Ferner Fall IV-M.823 - John Deere Capital Corp./Lombard North Central plc., Ziffer 7 und Fall IV-M.663 - Dupont/Dow, Ziffer 12. Anders dagegen noch im Fall IV-M.222 - Mannesmann/Hösch, Ziffern 10 ff.].

Darüber hinaus haben die Gründerunternehmen in Artikel 5.3 des Kooperationsvertrages bestimmt, daß sich der Preis der Vormateriallieferungen an das Gemeinschaftsunternehmen an den Bezugspreisen "orientiert", die sie ihrerseits mit den einzelnen Automobilherstellern für die gleichen Vormaterialerzeugnisse vereinbart haben. Auf das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Gründerunternehmen und den Abnehmern in der Automobilindustrie hat das Gemeinschaftsunternehmen keinen Einfluß. Als Folge dieser Vereinbarung wird der Preisverhandlungsspielraum des Gemeinschaftsunternehmens gegenüber den Gründerunternehmen daher zumindest erheblich eingeschränkt, was ebenfalls gegen die Vollfunktionsfähigkeit des Gemeinschaftsunternehmens spricht.

Platinen werden unter Einsatz von rechnergesteuerten Stanz- und Laserschweißmaschinen aus mehreren einzelnen Stahlblechen unterschiedlicher Art und Dicke hergestellt. Der Anteil der Vormaterialkosten an den gesamten Herstellungskosten von Platinen beträgt im Durchschnitt etwa 40 % [Vgl. Fall IV-M.925 - Krupp Hösch/Thyssen, Entscheidung vom 11.8.1997, Ziffer 26]. Der Vormaterialbedarf besteht fast ausschließlich aus kaltgewalztem Feinblech. Die Beschränkung der Freiheit des Gemeinschaftsunternehmens hinsichtlich der Beschaffung von Feinblech und Derivaten hat daher eine sehr grosse Bedeutung für die künftige Tätigkeit dieses Unternehmens.

Aus den genannten Gründen ist nicht davon auszugehen, daß das beabsichtigte Gemeinschaftsunternehmen von PSAG und VSAL sämtliche Funktionen ausüben wird, die auch von den anderen Unternehmen in dem betroffenen Markt wahrgenommen werden. Vielmehr wird das Gemeinschaftsunternehmen in seiner Beschaffungspolitik, die einen bedeutenden Teil der gewöhnlichen Alltagsgeschäfte wirtschaftlich selbständiger Unternehmen ausmacht, von den Gründerunternehmen abhängig sein. Diese Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens von den Gründerunternehmen ist nicht nur vorübergehend oder auf die Anlaufphase des Gemeinschaftsunternehmens beschränkt, sondern ohne zeitliche Begrenzung auf Dauer angelegt [Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Unterscheidung zwischen konzentrativen und kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, Ziffer 15, 1. Absatz sowie Bekanntmachung der Kommission über Nebenabreden zu Zusammenschlüssen, ABl. C 203 vom 14.8.1990, S. 5, Abschnitt III, C]. Auch ist das Gemeinschaftsunternehmen nicht in der Lage, sich selbständig aus der Abhängigkeit von den Gründerunternehmen zu befreien, falls dies in seinem wirtschaftlichen Interesse liegt [Vgl. Fall IV-M.686 - Nokia/Autoliv, Ziffer 7 und Fall IV-M.751 - Bayer/Hüls, Ziffer 11]. Das Gemeinschaftsunternehmen ist daher keine selbständige wirtschaftliche Einheit im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung. Da das angemeldete Vorhaben bereits aus diesem Grund keinen Zusammenschluß im Sinne der Fusionskontrollverordnung verwirklicht, braucht hier nicht weiter untersucht werden, ob die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens geeignet ist, eine Koordinierung des Wettbewerbs zwischen den Gründerunternehmen auf den vorgelagerten Märkten für Feinblech herbeizuführen.

IV. ERGEBNIS

Aufgrund der oben getroffenen Feststellungen ist die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, daß das angemeldete Vorhaben kein konzentratives Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen im Sinne des Artikels 3 der Fusionskontrollverordnung verwirklicht und deshalb nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Diese Entscheidung beruht auf Artikel 6(1)(a) der Fusionskontrollverordnung und Artikel 57(2)(a) des EWR-Vertrages.

Die Kommission wird die Anmeldung gemäß Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 3384-94 der Kommission als Antrag im Sinne von Artikel 2 oder als Anmeldung im Sinne von Artikel 4 der Ratsverordnung Nr. 17 behandeln; dies entspricht dem Antrag, den die beteiligten Unternehmen in ihrer Anmeldung gestellt haben.