Livv
Décisions

CCE, 10 mai 1993, n° M.284

COMMISSION DES COMMUNAUTÉS EUROPÉENNES

Décision

Hoechst/Wacker

CCE n° M.284

10 mai 1993

THE COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES,

1. Das oben genannte Vorhaben betrifft die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zur Herstellung und zum Vertrieb von Polyvinylchlorid (PVC) durch die Höchst AG und Wacker-Chemie GmbH.

2. Nach Prüfung des Sachverhalts ist die Kommission zu dem Schluß gekommen, daß das angemeldete Vorhaben unter die Verordnung (EWG) n° 4064-89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen fällt und keinen Anlaß zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt.

I. Die Parteien

3. Die Höchst AG (Höchst) und Wacker-Chemie GmbH (Wacker) sind beide mit der Herstellung und dem Vertrieb chemischer Erzeugnisse, einschließlich PVC, befasst. Höchst ist ausserdem im Bereich der Pharmazie tätig. An Wacker sind Höchst und die Dr. Alexander Wacker Familiengesellschaft mbH (Familiengesellschaft Wacker) mit jeweils 50 % beteiligt. Beide Unternehmen sind darüber hinaus paritätisch im Aufsichtsrat vertreten. Wacker wird daher von Höchst und der Familiengesellschaft Wacker gemeinschaftlich beherrscht. Die Familiengesellschaft Wacker ist eine reine Holdinggesellschaft und an keinem weiteren Unternehmen beteiligt.

4. Das Gemeinschaftsunternehmen soll unter der Firma Vinolit Höchst Wacker PVC GmbH (Vinolit) die Herstellung und den Vertrieb von PVC übernehmen.

II. Konzentratives Gemeinschaftsunternehmen

Gemeinsame Kontrolle

5. Nach Durchführung des Zusammenschlußvorhabens werden Höchst und Wacker an Vinolit zu je 50 % beteiligt sein. Die Gesellschaftsorgane werden paritätisch besetzt, wobei die Geschäftsführung zwei und der Gesellschafterausschuß vier Mitglieder umfasst. Daraus ergibt sich, daß das Gemeinschaftsunternehmen Vinolit direkt bzw. indirekt über Wacker durch Höchst und die Familiengesellschaft Wacker gemeinschaftlich beherrscht werden wird.

Selbständige wirtschaftliche Einheit

6. Höchst und Wacker bringen ihr gesamtes materielles und immaterielles Betriebsvermögen, welches zur laufenden Produktion und zum Verkauf von PVC gehört, in das Gemeinschaftsunternehmen ein. Vinolit wird die PVC-Teilbetriebe der Beteiligten komplett über- nehmen. Hierzu gehören insbesondere die Produktionsanlagen, die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie die gewerblichen Schutzrechte und das technische Know-how, soweit es sich auf die Herstellung und die Anwendung von PVC bezieht. Vinolit wird daher dauerhaft alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen.

Keine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens

7. Gegenwärtig sind sowohl Höchst als auch Wacker im PVC-Geschäft tätig. Mit dem Zusammenschluß werden jedoch diese Aktivitäten vollständig auf das neue Gemeinschaftsunternehmen übertragen. Höchst, Wacker und die Familiengesellschaft Wacker werden damit nach dem Zusammenschluß - abgesehen von ihren direkten bzw. indirekten Beteiligungen an Vinolit - über keine anderen eigenen Aktivitäten im Bereich des PVC verfügen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung, insbesondere unter Berücksichtigung der sehr hohen Marktzu- trittsschranken, ist es auch nicht zu erwarten, daß eine der Muttergesellschaften alleine in den Markt wiedereintreten wird.

8. Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, daß Höchst und Wacker zum Teil auf vor- und nachgelagerten Märkten des Gemeinschaftsunternehmens tätig bleiben werden und damit Lieferbeziehungen zwischen den Muttergesellschaften und Vinolit entstehen werden.

Höchst und Wacker werden das Gemeinschaftsunternehmen zu Marktpreisen mit dem Vorprodukt VCM (Vinylchlorid-Monomer) beliefern. Diese internen Lieferbeziehungen haben bereits vor dem Zusammenschluß bestanden. Da die Muttergesellschaften nicht über ausreichende Kapazitäten für VCM verfügen, wird Vinolit den zusätzlichen Bedarf auf dem freien Markt decken. Alle wesentlichen Wettbewerber von Vinolit verfügen entweder über eine eigene oder gruppeninterne Versorgung mit VCM. Darüber hinaus bestehen bedeutende Lieferbeziehungen zwischen den PVC-Herstellern mit dem Vorprodukt VCM.

Höchst wird als Hersteller von PVC-Folien auch Kunde von Vinolit für PVC sein. Die nachgefragte Menge wird aber im Vergleich zur Gesamtproduktion von PVC bei Vinolit nicht erheblich (ca. ..% [zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen wird der Prozentsatz nicht veröffentlicht.]) sein.

Darüber hinaus haben Höchst und Wacker vereinbart, daß in den Ländern, in denen für Vinolit der Aufbau einer eigenständigen Vertriebsorganisation unwirtschaftlich ist, dem Gemeinschaftsunternehmen der Zugang zur weltweiten Vertriebsorganisation der Muttergesellschaften ermöglicht wird.

9. Hieraus folgt, daß die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens nicht zu einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens zwischen voneinander unabhängig bleibenden Unternehmen führt. Das angemeldete Vorhaben wird daher als ein Zusammenschluß im Sinne von Artikel 3(2) der Fusionsverordnung angesehen.

III. Gemeinschaftsweite Bedeutung

10. Der weltweite Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen übersteigt 5 Mrd. Ecu (Höchst ca. 23 Mrd. Ecu, Wacker ca. 1,6 Mrd. Ecu). Beide Parteien haben einen gemeinschaftsweiten Umsatz von über 250 Mio Ecu und erzielen nicht mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat. Das Zusammenschlußvorhaben hat daher eine gemeinschaftsweite Bedeutung im Sinne von Artikel 1 der Verordnung.

IV. Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt

1. Der relevante Produktmarkt

11. PVC ist ein Produkt, das durch die Polymerisation monomeren Vinylchlorids (VCM) entsteht. Hierbei werden unterschiedliche Verfahrenstechniken angewandt, die zu PVC in unterschiedlicher Konsistenz (Masse- Suspensions- oder Emulsions- PVC) führen. Das verarbeitete PVC kann hierbei entsprechend der Verarbeitungsverfahren und -bedingungen, den Rezepturen und beigefügten Zusätzen unterschiedliche Eigenschaften - z.B. von extrem weichen und flexiblen bis zu ausserordentlich harten Materialien - erhalten und daher für sehr unterschiedliche Anwendungsgebiete (z.B. Rohre, Profile, Hohlkörper, Folien, Fußbodenbeläge und Beschichtungen) verwandt werden.

12. <Auch wenn zum Teil relevante Substitutionsbeziehungen zwischen unterschiedlichen PVC-Typen und ihren Anwendungsgebieten bestehen, so scheinen doch deutlich unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen zwischen Standard- (Massen- und Suspensions-) PVC einerseits und Spezialitäten (Pasten/Extender)-PVC zu bestehen. Die wesentlichen Gründe hierfür sind:

- Zwischen Standard-Ware und Spezialprodukten bestehen Preisunterschiede von 50% und mehr. Die Preisveränderungen scheinen darüber hinaus im wesentlichen unabhängig voneinander zu erfolgen.

- Bei Standardware sind eine Vielzahl von Anbietern tätig, wogegen das Angebot auf dem Markt für Pasten/Extender-PVC in Westeuropa im wesentlichen auf sieben Anbieter beschränkt ist.

- Bei Standard-PVC dürften die Importe nach Westeuropa über 10 % liegen, wogegen bei Pasten/Extender-PVC praktisch keine nennenswerten Importe stattfinden.

- Standard-Ware ist erheblich preissensibler als Spezialitäten, da hier die Rezepturen eine gewisse Bedeutung haben.

13. Letztendlich kann die genaue Abgrenzung des relevanten Produktmarktes offengelassen werden, da auch bei einer engeren Marktabgrenzung auf Pasten/Extender-PVC das Zusammenschlußvorhaben keinen Anlaß zu ernsthaften wettbewerblichen Bedenken gibt.

2. Der geographische Referenzmarkt

14. Als geographischer Referenzmarkt für PVC ist aufgrund der Marktstrukturen - unabhängig von einer weiteren Differenzierung des Produktmarktes - von einem einheitlichen Markt für Westeuropa auszugehen. Hierfür spricht neben der technischen Homogenität der jeweiligen Produkte insbesondere, daß alle grossen europäischen PVC-Produzenten in allen Ländern tätig sind. Dem steht nicht entgegen, daß einzelne Anbieter noch zum Teil erhebliche nationale Schwerpunkte haben. Unter Berücksichtigung der geringen Importe und eines bestehenden Aussenzolls der EG von 12,5 % (Einfuhren aus EFTA-Ländern sind zollfrei) liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß der geographische Referenzmarkt weiter zu fassen wäre.

3. Wettbewerbliche Beurteilung

15. Würde der Beurteilung des Zusammenschlußvorhabens ein einheitlicher Markt für alle PVC-Typen unterstellt, so wäre auf einem solchen Markt alleine aufgrund der Marktanteile der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen eine Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung auszuschließen sein. Höchst und Wacker erreichen sowohl in Westeuropa als auch in der EG nur einen gemeinsamen Marktanteil von [zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen wird der im Originaltext angegebene Prozentsatz in der vorliegenden öffentlichen Version auf "unter 15 %" geändert.]. Marktführer sind hier die Wettbewerber EVC, ein Gemeinschaftsunternehmen von ICI und Enichem, Solvay und Atochem, ein Konzernunternehmen des französischen Elf-Konzerns, mit Marktanteilen zwischen 10 % und 20 %. Weitere Anbieter mit Marktanteilen unter 10 % sind Rovin (ein Gemeinschaftsunternehmen von Shell und AKZO), Norsk Hydro, Hüls, ein Konzernunternehmen der VEBA AG, die LVM/EMC/DSM-Gruppe und BASF.

16. Auf dem Markt für Pasten/Extender-PVC in Westeuropa und in der EG erreichen die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß einen gemeinsamen Marktanteil von [zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen wird der im Originaltext angegebene Prozentsatz in der vorliegenden öffentlichen Version auf "über 20 %" geändert.]. EVC und Solvay folgen mit Martktanteilen von jeweils 15 % bis 20 % und Atochem und Hüls erreichen jeweils Anteile von 10 % bis 15 %. Die führenden fünf Unternehmen vereinen damit insgesamt mehr als 80 % des Marktvolumens auf sich. Auf dem Markt für Pasten/Extender-PVC besteht danach eine oligopolistische Marktanteilsstruktur.

17. Ob auf dem Markt für Pasten/Extender-PVC bereits ein marktbeherrschendes Oligopol besteht, kann für das vorliegende Zusammenschlußvorhaben letztlich dahingestellt bleiben. Denn es ist nicht zu erwarten, daß durch den Zusammenschluß eine möglicherweise bestehende beherrschende Stellung verstärkt wird. Wird berücksichtigt, daß Höchst bereits jetzt bei Wacker über einen mitbeherrschenden Einfluß verfügt, und daß auf dem Markt für Pasten/Extender-PVC der Marktanteil von Höchst, der der Marktstellung Wacker zuwächst, deutlich unter 10 % liegt, ist nicht zu erwarten, daß hiervon der Wettbewerb zwischen den Oligopolmitgliedern einerseits oder dem Oligopol und den Aussenseitern andererseits spürbar beeinflusst wird.

Aus diesen Gründen hat die Kommission entschieden, dem angemeldeten Zusammenschluß nicht entgegenzutreten, sondern als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären. Diese Entscheidung beruht auf Artikel 6(1)(b) der Fusionsverordnung.